Tarot

„Ich habe auch nicht mehr als ein wöchentliches Taschengeld“ (Lady Harris und die Korrespondenz mit Crowey, Teil III).

Das waren Worte von Lady Frieda Harris, die sie in einem Brief an Aleister Crowley richtete und ihn in diesem Zusammenhang darauf hinwies, dass nicht mehr Geld von ihr zu erwarten sei. Über das “Enfant terrible” Crowley und sein Tarotwerk gibt es zahlreiche Berichte. Die Frau hingegen, die für die Realisierung seines “Tarot Toth” sorgte, wird oftmals nur namentlich erwähnt. Das mag auch daran liegen, dass die Künstlerin trotz des umfangreichen Tarot-Projekts mit Crowley konsequent auf ihre Anonymität bestand. Hier ein wahrer Bericht über Lady Frieda Harris. 

harris-clip1Lady Frieda Harris wurde als Marguerit Frieda Bloxam 1877 in London als Tochter eines Chirurgen geboren. Durch ihre Heirat mit Sir Percy Harris, Chef der liberalen Partei Englands, wurde sie zu „Lady Harris“. Nach außen sollen Sir und Lady Harris ein sehr widersprüchliches Paar gewesen sein. So war Frieda Harris lebhafter Natur, ging gerne aus und als “Party-Löwin” bekannt, während Sir Percy Harris den typischen Politiker des 19. und 20. Jahrhunderts verkörperte. Weniger überraschend dürfte hingegen die Tatsache sein, dass Crowely sich nicht mit Sir Harris verstand und es demzufolge zu Spekulationen und Gerüchte über eine mögliche Affäre von Lady Harris gab. Was ihr Verhältnis mit Crowley anging, soll jedoch nie über mehr als ein “platonisches Verhältnis” gesprochen worden sein.
Grundsätzlich galt Lady Harris als charakterfeste und willensstarke Persönlichkeit, was ihr mit der Zusammenarbeit mit Crowly sicherlich sehr hilfreich war. Auch war sie bekannt als Individualistin – so soll sie sich im Alter von 61 Jahren die Haare
auffallend rot gefärbt haben, was für die damalige Zeit sehr außergewöhnlich war. Lady Harris war Mitglied des “Co-Masonry”, einer Absplitterung der Freimaurer, in der Frauen im Gegensatz zu den traditionellen “Freemasonry” einen gleichwertigen Status hatten. Sie nutzte dort ihr künstlerisches Talent für ihre esoterischen Tätigkeiten. Unter dem Pseudonym “Jesus Chutney” schrieb sie auch Verse. Aleister Crowley begegnete sie 1937. Zu dieser Zeit war Crowley auf der Suche nach einem talentierten Künstler, mit dem er sein geplantes Tarotprojekt realisieren konnte. Sein “Headhunter” war Clifford Bax, Autor und Herausgeber eines Kunstmagazins. Clifford schlug zunächst zwei Künstler vor, nämlich Meum Stewart und Leslie Blanche, doch sie waren an einer Zusammenarbeit mit Crowley nicht interessiert. So lud er Frieda Harris ein, die ihm vermutlich durch die Verbindung zu Masonry bekannt war.

harris1-11Durch ihre Mitgliedschaft waren Frieda Harris sämtliche Rituale vertraut, doch ihr okkultes Wissen war noch lückenhaft. So wird
auch vermutet, dass es Crowley war, der ihr später nahelegte, die Texte von Rudolf Steiner zu studieren, da diese wichtige Aspekte für das Entwerfen eines Tarotdecks beinhalteten. Irgendwann im Jahre 1937 begann Lady Harris Unterricht bei Oliver Whicher and George Adams zu nehmen, wo sie Stunden in “Projective Geometry base upon the teachings of Steiner und Goethe”“(„Projektive Geometrie nach den Lehren von Steiner und Goethe”) nahm. Harris galt als aufmerksame und ehrgeizige Schülerin. Sie informierte Whicher darüber, dass sie den Plan hatte, geometrische Figuren in den Toth-Tarot, mit dessen Entwürfen sie gerade begonnen hatte, mit einfließen zu lassen. Trotz Whichers Abneigung gegen alle “Crowley’schen” Ideen ermunterte er Lady Harris in ihren Absichten.
Im Jahre 1938 wurde Frieda Harris dann auch “offiziell” zu Crowley’s Anhängerin. Crowley führte sie detaillierter in die verschiedenen Arten der Divination ein. Auch hier zeigte sich Lady Harris sehr diszipliniert und zielstrebig. So soll sie auch auch dem Studium des I Gings – Crowley’s damaliges Lieblingsorakel – entschieden haben. Zeitgleich wurde Frieda Harris Mitglied im Orden “Ordo Templi Orientis” (O.T.O.).

Wie der “Crowley Tarot” entstand

Zwischen 1939 und 1944 malte Lady Harris unter Anleitung von Crowley den ägyptischen Tarot (“Toth Tarot”) und im Jahre 1941 erschien Crowley’s “Buch Toth” dazu. Es heißt auch, dass Lady Harris den Tarot gar nie richtig gekannt haben soll, was sie auch zugab. Jedenfalls tat dies der Lebendigkeit und Ausdrucksstärke dieser Karten keinen Abbruch. An Crowley schrieb sie: “Warum habe ich nur kein lebendiges Feuer, das diese Schönheiten musikalisch illustrieren könnte. Mit Farbe allein kann ich es nicht schaffen. Wessen ich bedarf, sind nicht Farbkreide, sondern Poesie und Musik und Licht.” (aus: Vorwort aus dem “Buch Toth” von Aleister Crowley).
Lady Harris war nicht nur für Ihren Ehrgeiz bekannt, sondern auch dafür, dass sie sich in Arbeit stürzen konnte. Es heißt außerdem, dass sie die Bedeutungen der einzelnen Karten des Toth Tarots während ihrer Arbeit daran buchstäblich erlebt hat. So wird in diesem Zusammenhang berichtet, dass die aktuellen Ereignisse in ihrem Leben stets das Thema der Karte, an der sie gerade arbeitete, widerspiegelte. So soll sie beispielsweise sämtliche Arten von Verspätungen oder Unfällen erlebt haben, als sie dabei war, die Karten 8 und 9 der Schwerter zu malen.

“Ich habe auch nicht mehr außer ein wöchentliches Taschengeld”

In der Überlieferung heißt es, dass Lady Harris während ihrer Zusammenarbeit mit Crowley ihm ständig Stipendien zukommen ließ, um das Tarotprojekt auch finanziell zu unterstützen. Auch soll sie ihren sozialen Kontakte genutzt haben, um weiterere Förderer zu finden, damit Ausstellungen für die gemalten Karten sowie Kataloge finanziert werden konnten. Doch noch existierende Schriftstücke belegen, dass Lady Harris Crowley zwar unterstützte, dies ihr jedoch nicht einfach so mühelos gelang, wie es heute häufig dargestellt wird. Dass Lady Harris selbst sehr eingeschränkt war und an die Grenzen der finanziellen und psychischen Belastbarkeit gelangte, geht klar aus einem Brief vom 10. Mai 1939 vor, den sie an Crowley richtete und der  tiefe Einblicke in die damalige finanzielle Abhängigkeit der Frauen gibt: “Ich schätze Ihre Freundschaft und den Unterricht mit ihnen sehr, aber dies alles wird durch Ihre Versuche, mich als Ihr Bank- und Finanzberater zu gebrauchen, stark belastet. Ich habe Sie mehrmals darüber informiert, dass ich selbst nichts habe außer ein wöchentliches Taschengeld. Ich habe Ihnen alles gegeben, was ich entbehren konnte. Wenn Sie damit rechnen, mithilfe des Tarots an Geld zu kommen und hierfür meine Position gebrauchen möchten  – dann tut es mir leid, ich bin nicht geeignet für so eine Unternehmung, da ich anonym bleiben möchte, wenn die Karten veröffentlicht werden.” Sie erwähnte in diesem Zusammenhang auch sinngemäß, dass sie nicht die Absicht hätte, “traurige Berühmtheit” zu erlangen – ob damit der Kontakt mit Crowley oder nur der Tarot gemeint war, geht aus besagtem Schreiben nicht hervor (Quelle: Briefe von Harris an Crowley, die im Original überliefert wurden (über die Korrespondenz mit Crowley wird es später mal einen eigenen Blogeintrag geben).
Dass diese geistigen Anstrengungen sowie der emotionale Druck ihren Tribut forderten, ist nur unschwer nachzuvollziehen. So wird auch berichtet, dass Lady Harris mit der Zeit immer launischer und teilweise auch unberechenbar wurde. Crowley soll davon offensichtlich beunruhigt gewesen sein und schickte sich an, Lady Harris um die Rechte an dem Tarot zu bringen, indem er sich rasch zwei Drittel der Investitionen sicherte. Doch trotz allem wurde Frieda Harris im Vorwort des Buches Toth von Crowley mit Lob und Anerkennung übergossen.

Die Veröffentlichung der Karten

Die Veröffentlichung der Karten fiel teilweise mit dem zweiten Weltkrieg zusammen und brachte einige Probleme mit sich. Das Papier war streng rationiert und Crowley ohnehin ständig knapp bei Kasse. Hinzu kam Aleister Crowley’s zweifelhafter Ruf, der Lady Harris beunruhigte und zu weiteren Spannungen zwischen den Beiden führte. So schrieb sie an Crowley, dass sie damit beschäftigt war, “den Verdacht zu zerstreuen, dass Sie, Aleister Crowley, entweder versuchen, die Öffentlichkeit auf den Arm zu nehmen oder sie mit einer neuen gefährlichen Weltanschauung zu vergiften.” (aus dem Vorwort des “Buch Toth” von Aleister Crowley). Des Weiteren ist überliefert, dass Lady Harris jede erdenkliche Anstrengung unternahm, die Karten bekannt zu machen – trotz des Geldmangels und unter Wahrung ihrer  Anonymität. 1944 gelang auch die Veröffentlichung von Crowley’s “Buch Toth” unter seinem Pseudonym “The Master Therion” mit einer limitierten Auflage von 200 Stück. Da das Buch durch den O.T.O. veröffentlicht wurde, ist anzunehmen, dass dies auf die Initiative von Lady Harris gelang, doch das Kartendeck sollt noch einige Jahre unveröffentlicht bleiben. Als Aleister Crowley 1947 in Hastings (England) starb, war Frieda Harris bei ihm. Sie telegrafierte die Nachricht an den O.T.O., mit dem sie dann auch ihre Arbeit nach Crowley’s Tod fortsetzte. Pläne für die Veröffentlichung der Karten jedoch scheiterten zunächst.  Crowley hatte Lady Harris als seine Testamentsvollstreckerin ernannt – ein Beweis dafür, dass trotz aller Bedenken und Meinungsverschiedenheiten eine Vertrauensbasis bestand. Nach Crowley’s Tod soll Lady Harris in Betracht gezogen haben, die Originalwerke der Karten zu verkaufen, entschloss sich aber dann, die Werke Gerald Yorke zu überlassen, der sie nach London brachte, wo sie heute noch im British Museum of Art ausgestellt sind. Auch bedürfen die Bilder bereits seit geraumer Zeit dringend einer Restaurierung, denn die Materialien, die Lady Harris verwendete, waren aufgrund der Kriegszeit von minderer Qualität.

Lady Frieda Harris starb am 11. Mai in 1962 in Srinagar (Indien).  Die Veröffentlichung des Thoth Tarots durfte also weder Crowley noch sie selbst erleben, denn erst 1969 veröffentlichte der O.T.O.  mit Hilfe des Verlagshauses Llewellyn Publications erstmals eine vollständige Farbausgabe der Karten in einer stattlichen Auflage. 1977 erschien bei Samuel Weiser Inc. und U.S. Games Inc. eine höherwertige Ausgabe. 1987 dann veröffentlichte hier in Deutschland der Urania Verlag mit Hilfe der AGMüller die Karten in der uns heute bekannten Art und Qualität.

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